Passauer Missbrauchsstudie behandelt Rolle schweigender Mitwisser
Oft glaubten die Eltern den Opfern von sexuellem Missbrauch nicht, dass der Pfarrer "so etwas" getan haben könnte. Aber auch andere Mitwisser schützten lieber die Institution Kirche, wie die Studie zeigt.
Passau (KNA) Die am Montag veröffentlichte Passauer Missbrauchsstudie widmet sich in ihren historischen Ausführungen auch der Rolle von schweigenden Mitwissern. Die mit dem englischen Begriff "Bystander" bezeichneten Personen werden neben den Tätern für das Leid an den Betroffenen mitverantwortlich gemacht. Trotz ihres Wissens hätten sie sich oft nicht aus der Deckung getraut, lieber geschwiegen und sich sogar mit Beschuldigten solidarisiert. Zu dieser Gruppe zählten der Untersuchung zufolge vor allem die Eltern, Gemeindemitglieder, Pfarrhaushälterinnen oder Politiker.
Der Passauer Bischof Stefan Oster sprach in einer Stellungnahme von einem starken Kapitel der Studie. "Durch Kulturen des Schweigens, durch die Überhöhung des Priesters und durch Missachtung des Leides von Betroffenen haben nachweislich mindestens 700 Menschen oft unsägliches Leid erlitten mit Folgen, die oft ein Leben lang anhalten." Nur voll Scham könne er einmal mehr bekennen, dass verantwortliche Personen bei diesem Thema in der Kirche massiv versagt hätten. Die Untersuchung benennt mindestens 154 Beschuldigte oder überführte Täter.
Oster dankte vor allem den Betroffenen, die sich für die Studie zur Verfügung gestellt hatten. Auch wenn sich das Bistum neu aufgestellt und die Prävention verstärkt habe, sei man noch nicht am Ziel. "Wir brauchen auch in der Fläche in unseren Gemeinden einen noch stärkeren Kulturwandel." Vor allem aber sei auch weiter die Beteiligung betroffener Menschen notwendig, "damit wir immer besser verstehen, wie es gelingen kann, in unserer Kirche ein neues, achtsames Miteinander einzuüben." Der Bischof lud für Januar die Mitglieder der Unabhängigen Aufarbeitungskommission und des Betroffenenbeirats zum Gespräch ein, um Konsequenzen zu ziehen.
Der Vorsitzende der Aufarbeitungskommission, Guido Pollak, ging in seiner Reaktion ebenfalls auf die "Bystander" ein. So habe die Forschung ergeben, dass dazu über viele Jahre hinweg auch Richter, Staatsanwälte, medizinische Gutachter, Jugendämter, Schulämter und Schulleitungen zu rechnen gewesen seien. Hier stelle sich die Frage nach dem gesellschaftlichen Umfeld, in dem die Kirche agiere.
Erörtert werden muss nach Ansicht des Erziehungswissenschaftlers auch die Rolle des Bischofs. Die Vorgänger von Oster mögen über die psychologischen und soziologischen Gesetzmäßigkeiten weniger aufgeklärt gewesen sein als dieser mit seinem heutigen Erkenntnisstand über die Zusammenhänge von Macht und Gewalt. Für die Kommission stelle sich jedoch die Frage, "wie weit Bischof Stefan in seiner Verantwortung für die Menschen im Bistum kirchliche Machtausübung öffentlicher Transparenz und unabhängiger Kontrolle unterwirft".
Die Studie trägt den Titel "Sexueller Missbrauch und körperliche Gewalt. Übergriffe auf Minderjährige durch katholische Geistliche im Bistum Passau 1945 bis 2022". Rund 2.400 Priester-Personalakten wurden gesichtet sowie 25 Betroffene und knapp 35 weitere Zeitzeugen waren in den vergangenen drei Jahren interviewt worden.
