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Meldung

Autorin Siegert zum 9. November: Erinnerung braucht mehr als Floskeln

Vor 87 Jahren löschten die Nazis Leben von Juden aus und zerstörten Synagogen und Geschäfte. Rund um den 9. November wird an die Opfer erinnert. Daraus dürfe kein Pflichtprogramm werden, mahnt eine Expertin.

Gedenktage wie der anstehende 9. November haben nach Worten der Autorin und Influencerin Susanne Siegert eine wichtige gesellschaftliche Funktion. Es handle sich um einen Trauertag, "und Trauerrituale kennen wir auch von Beerdigungen", sagte Siegert im Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). Es brauche jedoch zusätzliche Formen von Gedenkarbeit, die sie in ihrem kürzlich veröffentlichten Buch "Gedenken neu denken" beschreibt. Am Sonntag wird an die gegen Juden gerichteten NS-Novemberpogrome von 1938 erinnert.

"Bei Gedenkveranstaltungen kann man fast Bingo spielen mit bestimmten Formulierungen, die fallen werden", kritisierte sie. Dazu zählten Aussprüche wie "nie wieder", "erinnert euch" oder die Mahnung, wie bedeutsam das Gedenken gerade heute sei. "Dagegen könnte es helfen, wenn auch einmal andere Akteurinnen und Akteure die Bühne betreten - oder eben neue Bühnen finden." Für ihre Aufklärungsarbeit auf Tiktok und Instagram, die rund 400.000 Menschen erreicht, wurde Siegert im Vorjahr mit dem Grimme-Online-Award ausgezeichnet und zuletzt mit dem Margot Friedländer Persönlichkeitspreis.

Auch sie hoffe zwar, dass sich aus der Geschichte lernen lasse. "Ich glaube aber, dass das nicht das Kriterium dafür sein darf, ob wir über ein Thema sprechen oder nicht", betonte die Expertin. "Das finde ich respektlos gegenüber den Opfern, deren Nachfahren nach wie vor hier leben - mit Menschen wir mir, also den Nachfahren von Täterinnen und Tätern. Da kann man nicht sagen, aus diesem Massenmord muss zumindest eine Wahlempfehlung entstehen."

Allzu häufig hätten Menschen die Vorstellung "Holocaust gleich Auschwitz", fügte Siegert hinzu. "Es ist sehr wichtig, sich mit diesem Ort, mit Auschwitz, weiterhin zu beschäftigen, aber eben auch mit anderen Orten." Es sei ein Aha-Moment, zu erkennen, "dass sich dieses abstrakt verortete Geschehen vor der eigenen Haustür abgespielt hat". Dasselbe gelte für den Blick in den eigenen Stammbaum - beides könne die NS-Zeit greifbarer machen. Wer nur "sadistische Einzeltäter" im Blick habe und nicht eigene Vorfahren, könne den Eindruck gewinnen, dass die Geschichte mit einem selbst nichts zu tun habe. Eine klare Benennung verändere diese Perspektive.