Expertin: 800.000 Menschen in Deutschland nicht krankenversichert
Ein Prozent der Bevölkerung ist möglicherweise nicht krankenversichert, obwohl eine Pflicht dazu besteht. Die Expertin einer Clearingstelle verweist auf entsprechende Forschungen - und erklärt Gründe.
Berlin (KNA) Bis zu 800.000 Menschen in Deutschland sind nach Einschätzungen von Experten nicht krankenversichert. "Man geht von einer sehr hohen Dunkelziffer aus", sagte Sophie Pauligk, Vorständin beim "Bundesverband Anonymer Behandlungsschein und Clearingstellen für Menschen ohne Krankenversicherung", am Mittwoch der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) in Berlin.
Das Statistische Bundesamt zählte im Jahr 2019 rund 61.000 Menschen, die in Deutschland ohne Krankenversicherung leben. Laut Fachleuten und Hilfsorganisationen ist die Zahl aber weitaus größer: Demnach ist ein Prozent der Bevölkerung in Deutschland nicht krankenversichert - das wären mehr als 800.000 Menschen.
Pauligk: "Viele Menschen tauchen in offiziellen Statistiken überhaupt nicht auf." Dazu zählten etwa Menschen, die nicht in Deutschland gemeldet sind, Wohnungslose ohne Postadresse, Personen aus dem EU-Ausland, die hierzulande keiner sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung nachgehen oder auch Menschen aus Drittstaaten, die sich mit einer unzureichenden Reiseversicherung in Deutschland aufhalten, die aber etwa chronische Erkrankungen nicht abdecke.
Obwohl hierzulande eine Pflicht zur Krankenversicherung herrscht, weist der Trend bundesweit nach oben: So suchen immer mehr Menschen Praxen auf, in denen sie sich ohne Krankenversicherung behandeln lassen können. "Ob das daran liegt, dass immer mehr Menschen in Deutschland keine Krankenversicherung haben oder ob das Angebot einfach immer bekannter wird, ist nicht ganz klar", sagt Pauligk. Entwicklungen wie der angespannte Wohnungsmarkt und die steigende Zahl von Räumungsklagen sprächen eher für einen steigenden Bedarf. Klar sei: "Der allergrößte Teil der Menschen ist in existenzieller Not. Sie würden nicht kommen, wenn sie eine andere Möglichkeit sähen."
Ein Drittel der Menschen, die in Deutschland ohne Krankenversicherung leben, hat demnach keinen Migrationshintergrund. "Viele haben Schulden, leiden unter psychischen Belastungen oder haben gar keinen Kontakt zu Behörden."
Auch bei den nicht versicherten Patienten mit Migrationshintergrund seien die Ursachen vielfältig. So sei etwa die Zahl der Vietnamesen, die in die Praxen kommen, in Ostdeutschland und auch Berlin sehr hoch. "Dabei handelt es sich oft um Kinder und Enkelkinder von Vertragsarbeitern aus der DDR, die nach dem Mauerfall kein Asyl bekommen haben, aber in dritter Generation immer noch hier leben - unangemeldet."
Wer keine Versicherung habe, könne sich zwar im akuten Notfall zur Behandlung auch an Krankenhäuser wenden. "Diese müssen in der Not behandeln, da es sonst eine unterlassene Hilfeleistungen wäre", sagt Pauligk. Da aber die finanziellen Zuständigkeiten der Behandlung im Nachhinein schwer zu klären seien, blieben die Krankenhäuser auf diesen Kosten oft sitzen: "Die Berliner Krankenhausgesellschaft hat etwa einen Zahlungsausfall von 15 Millionen Euro pro Jahr durch unversicherte Patientinnen und Patienten."
