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Wenn Kinder zu viel Verantwortung tragen - Expertin: Grenzen setzen

Den Tisch decken oder das Zimmer aufräumen: Das machen viele Kinder. Manche müssen zusätzliche Aufgaben übernehmen, die ihrem Alter nicht entsprechen. Das kann Folgen haben - auch wenn Betroffene schon erwachsen sind.

Verantwortung für Eltern oder Geschwister übernehmen, Eltern emotional auffangen, Behördengänge organisieren: Manche Kinder sind in ihren Familien für Aufgaben zuständig, die eigentlich die Erwachsenen erledigen müssten. "Die Kinder übernehmen viele Aufgaben, die nicht altersgemäß sind", sagte Isabella Vidmar, Psychologische Beraterin aus der Schweiz, im Interview der "Welt" (Dienstag). Oft geschehe das, wenn Eltern wegen psychischer Erkrankungen, Problemen mit Sucht oder Überforderung selbst nicht funktionsfähig seien.

Kinder nähmen dann häufig eine überangepasste Rolle ein und seien "still, funktionierend, pflichtbewusst". Mädchen und Jungen erlebten, dass für ihre eigenen Bedürfnisse kein Raum sei. Das könne das Familiensystem kurzfristig stabilisieren, aber langfristig passiere dies auf Kosten der psychischen Gesundheit des Kindes, erklärte Vidmar. "Schuldgefühle, Überanpassung, das Gefühl, nicht zur Last fallen zu dürfen, sowie der Verlust kindlicher Unbeschwertheit sind typische Langzeitfolgen". Allerdings sei das kein Automatismus in betroffenen Familien.

Wer jedoch als Kind betroffen sei, habe auch als Erwachsener oft mit den Folgen zu kämpfen, sagte die Expertin. Sie richteten sich zum Beispiel stark nach den Bedürfnissen und Erwartungen anderer Menschen. "Die Gefahr der Überanpassung an den Partner oder die Partnerin besteht. Zudem kann ein übersteigertes Verantwortungsgefühl für andere mit einem Helfersyndrom einhergehen. Dabei steht die Harmonie im Vordergrund. Schwierige Gespräche werden vermieden, auch Konflikten geht man aus dem Weg, um die Harmonie aufrechtzuerhalten."

Betroffene fürchten laut Vidmar Zurückweisung und neigten daher zu Kontrolle, übermäßiger Anpassung oder Rückzug, was langfristige, echte Nähe erschwere. Die Fähigkeit, eigene Wege zu gehen, Freundschaften zu pflegen und sich selbst als eigenständige Person zu erleben, könne blockiert sein. "Der Weg zu echten, gleichwertigen Beziehungen beginnt häufig erst im jungen Erwachsenenalter - oft begleitet von einem therapeutischen Prozess."

Wichtig sei, Muster zu erkennen, die in der Kindheit entstanden seien, sowie Bedürfnisse und Gefühle kennenzulernen und Grenzen zu setzen, rät die Fachfrau. Helfen könne auch der Austausch mit anderen Betroffenen. "Wichtig ist auch Selbstreflexion und sich die Fragen zu stellen: Was tut mir gut? Was möchte ich tun?"