Einlassung der Kirchen zu Verfassungsrichter-Wahl umstritten
Jüngst kritisierte der Bamberger Erzbischof Gössl die von der SPD als Bundesverfassungsrichterin vorgeschlagene Juristin Frauke Brosius-Gersdorf. Die Reaktionen von Sozialdemokraten fallen unterschiedlich aus.
Bonn (KNA) Nach Kritik von Kirchenvertretern an der Juristin Frauke Brosius-Gersdorf kommen unterschiedliche Reaktionen aus der SPD. SPD-Fraktionschef Matthias Miersch zeigte sich in einem Interview der "Süddeutschen Zeitung" (Montag) "sehr empört, wie sich prominente Bischöfe und Kardinäle in diese Sache eingeschaltet haben". Kirche könne durchaus politisch sein. Sich aber an einer Hetzkampagne gegen Brosius-Gersdorf zu beteiligen, sei unchristlich, so Miersch.
Mierschs Partei hatte die 54 Jahre alte Juristin als eine von drei Kandidaten für das Bundesverfassungsgericht vorgeschlagen. Am Freitag war die Wahl im Bundestag gescheitert. Sie soll nun nach der Sommerpause nachgeholt werden. Vorbehalte existieren vor allem bei der Union und bei der katholischen Kirche wegen der liberalen Haltung von Brosius-Gersdorf zur Abtreibungsregelung. Aus ihrer Sicht gibt es gute Gründe dafür, dass die volle Garantie der Menschenwürde erst ab der Geburt gilt.
Der Bamberger Erzbischof Herwig Gössl nannte diese Haltung am Sonntag einen "innenpolitischen Skandal". Er wolle sich nicht vorstellen, "in welchen Abgrund der Intoleranz und Menschenverachtung wir gleiten, wenn die Verantwortung vor Gott immer mehr aus dem Bewusstsein der Menschen verschwindet", sagte Gössl. "Dann haben die Schwächeren keine Stimme mehr: nicht die Ungeborenen und nicht die pflegebedürftigen Alten; nicht die psychisch Kranken und auch nicht die sozial Schwachen, nicht die Menschen, die sich aufgrund von Krieg und Verfolgung auf die Flucht begeben und auch nicht die Natur, die gewissenlos ausgebeutet und zerstört wird."
Während Miersch Gössls Einlassung zurückwies, zeigte sich die frühere Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt erstaunt über die Äußerung ihres Parteifreundes. "Das ist doch genau die Rolle der Kirchen", sagte Schmidt dem Magazin "Stern". "Sie sind dafür da, sich einzumischen und in kritischen Fragen das Gespräch zu suchen. Wir können Kirchen nicht nur dann gut finden, wenn ihre Haltung uns passt. Man muss ihre Positionen nicht teilen oder sogar mitgehen. Aber man sollte schon zuhören." Schmidt ist Vorsitzende der Bundesvereinigung Lebenshilfe, die sich für Gleichberechtigung und Barrierefreiheit für Menschen mit geistiger Behinderung einsetzt.
Zuvor hatte Bundeskanzler Friedrich Merz im ARD-Sommerinterview darauf verwiesen, dass auch die SPD nicht geschlossen hinter der Kandidatur von Brosius-Gersdorf stehe. So habe Ulla Schmidt die Kirchen mobilisiert. Bezogen auf die Unions-Fraktion räumte der CDU-Politiker am Sonntagabend ein: "Wir hätten natürlich früher erkennen können, dass da großer Unmut entsteht." Nur die katholische Kirche hatte sich in die Debatte um die Personalie eingeschaltet, die evangelische Kirche beteiligte sich nicht.
Erzbischof Gössl verteidigte unterdessen seinen Vorstoß. "Wenn ein nach Entwicklungsstufe und Lebensfähigkeit des Menschen abgestuftes Lebensschutzkonzept vertreten und damit das Lebensrecht ungeborener Kinder infrage gestellt wird, bedeutet dies einen verfassungsrechtlichen Paradigmenwechsel", heißt es in einer am Montag veröffentlichten Mitteilung des Erzbistums Bamberg.